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Lügen

Text, Musik und Vocal: Astrid Kühl, Musik und Arrangement: Wolfgang Leminski

00:00 / 04:38

Mitten im Leben - oder:

Der Rosenverkäufer © Siegfried Kopf

Zeichnung: Lily Magdalena

Still und weiß liegt der sich neigende Tag der Sonne zu Füßen. Der Horizont glüht in den schönsten Farben aus Luft und Wasser, doch mit der Abenddämmerung fegen schwere Wolken landeinwärts - so, als wollten sie der Sonne entfliehen.

Tanja's Schrei reißt ein Loch in diese Stimmung und über Tanja reißen die Wolken auf, geben einen Kondensstreifen frei, der so hoch liegt, dass er das Licht der untergehenden Sonne hell reflektiert. Tanja's Blick ist starr. Starr folgt er auch dem schweifausspuckenden Stern, bis dieser am Horizont in die noch sichtbare Glut der Sonne eintaucht - und mit dem Stern geht die Sonne unter. Der Schweif selbst treibt mit dem Wind und den Wolken landein-wärts, wird breiter und breiter, bläht sich auf bis zur Unkenntlichkeit.

Mehr als die Schwere der Wolken liegt über Tanja. Sie liegt auf dem Rücken. Unter ihr liegt die Kälte des Winters.

Der Schnee, auf dem es sich so kalt liegt, beginnt zu schmelzen. Der Schnee durchfeuchtet Tanja's Kleider, kriecht ihr bis in den Unterleib, in dem sie erst jetzt den Schmerz spürt, aus dem jetzt erst endlich der Ekel rinnt. Und das Blut des Mannes rinnt über ihren entblößten Körper.

Mit einem lang anhaltenden Schrei des Begreifens befreit sich Tanja von dem schweren leblosen Männerkörper, rafft sich mühsam auf, rennt der untergegangenen Sonne hinterher. Sie will der anbrechenden Nacht entkommen.

Weit noch vom Horizont entfernt wird Tanja von der Dunkelheit eingeholt, die sich zugleich kalt und feucht um ihren aufgeheizten Leib hüllt. Enttäuscht und entkräftet lässt sie sich in den weichen Schnee fallen. Wieder auf dem Rücken liegend, wieder in den Himmel starrend, schleichen sich Bilder der Gewalt zwischen Himmel und Erde - warum?

Aus den schweren Wolken bricht endlich Schnee. Tanja lässt sich zudecken von den tanzenden weißen Schneeflocken. Ohne ihren Widerstand kann der wärmende Schlaf in sie eindringen.

Schneeknirschende Schritte nähern sich langsam der eingeschneiten Hilflosigkeit. Tanja's Beine, welche halbwegs auf dem Bürgersteig liegen, unterbrechen die Regelmäßigkeit dieser Schritte. Der Mann dieser Schritte stürzt in den Schnee und über Tanja fallen rote Rosen.

Tanja spürt von alledem nichts. Sie hat sich tief in ihr Inneres zurückgezogen, sie ist unterkühlt, sie ist schon fast erfroren. Die Fragen und Rufe des Rosenverkäufers vermögen es nicht, in diese Tiefe einzudringen. So verstummt er dann endlich, nimmt den reglosen Körper behutsam in seine Arme und eilt der nahe gelegenen Stadt entgegen ...

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Der Steuerprüfer ©Siegfried Kopf

Februar - ein Wintertag. Schneegestöber und natürlich kalt, wirklich kalt. Hatte mal wieder Laune auf ein Glas Bier und Konversation in der Stammkneipe - drei Minuten Fußweg - und meinen Haustürschlüssel vom Bund gefummelt für meinen Nachbarsohn. Egor wollte noch 'ne Weile im Internet surfen und sollte mir den Haustürschlüssel dann später an den Tresen bringen, was er dann auch tat.

Für den nächsten Tag hatte sich der Steuerprüfer angekündigt - drei Betriebe, fünf Jahre - Na und? Ich hatte ja alles gut vorbereitet im Herrenzimmer, übersichtlich gestapelt die Akten, Papiere und Journale. Drei Tage waren für die Prüfung in meinem Büro angesetzt.

Und wie es dann so kam - wie gesagt, ich war in Laune -, stand sie hinterm Tresen, Cornelia, meine kleine Schönheit. Will ja nicht verschweigen, dass sie mir sympathisch war, aber verliebt war ich nicht. So gibt ein nettes Wort das andere, wenn sie dann mal Zeit für mich hatte, sie musste ja ihren Job machen. Aber, ich saß am Tresen und sie konnte mir nicht entkommen. Zum Bier bestellte ich dann etwas später - in Laune - einen Kurzen, und dieses dann des Öfteren - ich wollte ja noch 'ne Weile mit Cornelia flirten, sie war heute auch richtig gut drauf.

Ich schaute nicht auf die Uhr, dachte auch nicht an den nächsten Tag, an mein Date mit dem Steuerprüfer. Aber es kam der Moment und ich war voll des Alkohols - und Cornelia hatte von mir auch genug.

So torkelte ich dann widerwillig nach Hause. Wie gesagt, drei Minuten, aber es dauerte dann doch ein bisschen länger durch Schneegestöber, Kälte und was sonst noch so zum Winterfeeling gehört. Zu Hause denkenderweise an Cornelia angekommen - "hätte sie mich nicht nach Hause bringen können?" - stehe ich dann vor meiner Haustür und finde den passenden Haustürschlüssel nicht an meinem Schlüsselbund - keiner passte.

Mir war kalt und ich wollte ins kuschlige Bett, auch ohne Cornelia. Nur, wo war der Haustürschlüssel? So suchte ich verzweifelt länger als der Weg zur Kneipe und zurück, bis ich es leid war, die Mülltonne auf die Treppenstufen zog, auf sie kletterte, um das Oberlicht aufzudrücken - war nie verriegelt -, doch ich stürzte ab, von der Tonne - die war auf dem Deckel vereist -, und dann lag ich rücklings vor den Treppenstufen dieser ach so schön verschneiten Villa.

Nun wurde ich aber richtig böse! Ich ging noch fast aufrecht die Treppenstufen hoch, fasste mir allen Mut und schlug mit meinem Ellenbogen eine Fensterscheibe zum Büro ein. So konnte ich, nachdem ich das Fenster durchgreifenderweise entriegelt hatte, ungehindert vom Treppenpodest in mein Büro klettern. Natürlich habe ich das Fenster wieder ordentlich von innen verschlossen, ging in die Stube und schlief ohne Umstände und in Gedanken an Cornelia auf meinem Ledersofa ein.

Ich hatte ja schon immer sehr belebte Träume, aber dieser Traum war mir dann doch zu laut. Es war nicht Cornelia, nein, es kam aus meinem Büro. Ein Gedeck hatte ich schon abgebaut, doch torkelte ich - immer noch trunken - ins Büro. Nicht, dass ich arbeiten wollte, nein, ich wollte nur mal nach dem Rechten sehen: Schneesturm fegte durch's Büro und all meine Papiere tanzten ein böses Spiel. So nahm ich dann den nächsten Zeichenkarton und klebte das Loch in der Fensterscheibe zu - und der Schneesturm hörte auf, jedenfalls in meinem Büro. Zufrieden legte ich mich wieder auf's Sofa, diesmal in Gedanken an den nächsten Morgen: "9.15 Uhr, Steuerprüfer!"

Natürlich hatte ich mir nicht mein Nachthemd angezogen. Gut so, denn so schnell hätte ich mich auch nicht schön machen können, als es um 9.15 Uhr an der Haustür klingelte. "Der Steuerprüfer!", ging es mir durch den Kopf. Und die Bilder der Nacht schossen mir in die Gedanken: "Mülltonne am Fuße der Eingangstreppe, Glasscherben auf der Eingangstreppe, Blutspuren am Fenster, mein verwüstetes und durchnässtes Büro - und, wo ist der Haustürschlüssel?"

Wir standen uns gegenüber, der Steuerprüfer und ich, und zwischen uns die Haustür mit Glasausschnitt: "Gehen Sie doch bitte ums Haus bis zur Terrassentür, dort lasse ich Sie rein." Es war die Tür zum Herrenzimmer, in dem ich alles für die Prüfung vorbereitet hatte - ich hätte den Mann vom Finanzamt auch nie in mein Büro gelassen! So öffnete ich dem Steuerprüfer die Terrassentür zu "seinem Büro" der Prüfung. Ich fragte, ob ich ihm einen Kaffee kochen könne und ob es ihm auch nicht zu kalt sei - dummerweise war in der Nacht auch noch die Heizung ausgefallen.

Wir saßen uns dann auch gegenüber, der Kaffee kam gut an - hatte ich handaufgebrüht mit 'ner Prise Salz. Er bekam alles, was er wollte (Akten und einen Keks zum Kaffee) und ich fragte dann noch einmal: "Ist Ihnen auch nicht kalt?" Er war cool, ihm war nicht kalt. Aber mir! Mir war kalt und ich war müde. So ging ich dann in den Keller, um für Gemütlichkeit zu sorgen - er sollte ja nicht schlecht über mich denken. Das Heizöl war aus, also brachte ich dann den Feststoffkessel zum Glühen. Mit Holz, damit es schneller warm wurde.

Und es glühte und ich ging wieder ins Herrenzimmer und fragte: "Möchten Sie noch einen Kaffee? Und gleich wird's auch wärmer werden." Er verzog keine Miene, bekam seinen zweiten gebrühten Kaffee mit Keks und prüfte in aller Gelassenheit weiter. Ihm war immer noch nicht kalt - er hatte ja auch seinen Mantel anbehalten.

Die Nacht war ja schon laut. Aber jetzt fingen auch noch die Heizkörper samt Zuleitungen und Thermostatventilen an, laut zu werden. Es war wirklich nicht meine Nacht, nicht mein Tag. Es kochte in mir und in der Heizungsanlage. Nein, es kochte nicht, es bollerte, es schrie auf. Und er prüfte und prüfte und ich sagte ganz "ruhig": "Ich gehe dann mal in den Keller." - Ich hatte vergessen, das Ventil zu öffnen - eines geht nur: Heizölkessel oder Feuerholz. So standen wir kurz vor einer Katastrophe und er prüfte und prüfte. Und mir war das alles irgendwie zu viel.

In meiner Not rief ich dann meinen Nachbarn an. Serge eilte auch sofort herbei. Wir öffneten alle Heizkörperventile, ich warf natürlich kein Holz mehr auf's Feuer. Wir fegten die Scherben vor der Haustür weg, sammelten die schneedurchtränkten Papiere in meinem Büro zusammen und legten sie auf die kalten Heizkörper, bauten einen "neuen" Fensterflügel ein (ich hatte immer etwas in Reserve), räumten irgendwie auf - ich brühte zwischendurch noch einen Kaffee für meinen ach so ruhigen Prüfer und fragte zwischendurch immer wieder: "Ist alles okay?" - Es war alles okay und es wurde jetzt auch warm im Herrenzimmer, in der Villa.

Um 17 Uhr kam der Feierabend des Steuerprüfers, des ersten Prüfungstages und meiner Nüchternheit. Wir saßen uns gegenüber, wie so oft schon an diesem Tag. Er hatte sogar noch Fragen zu meinen Aufzeichnungen - konnte ich nicht verstehen, war doch alles in Ordnung - alle Fragen mit klarem Verstand verständlich beantwortet, und eigentlich wollte er ja morgen wiederkommen. Wie gesagt, wir saßen uns im netten prüfenden Gespräch wieder gegenüber und er hatte schon wieder einen aufgebrühten Kaffee mit einer Prise Salz und einem Keks vor sich stehen - und er war immer noch so gelassen, so cool.

Ich hörte seine abschließenden Worte nicht mehr, es war ja eh eine ordentliche Buchführung, die ich ihm vorgelegt hatte - ich dachte an Cornelia ... und plötzlich sprang ich auf: "Hier ist er!" Ich griff in meine rechte Hosentasche und zog den Haustürschlüssel ans Tageslicht. Er, der Steuerprüfer, verzog mal wieder keine Miene.

Stolz führte ich den Herrn vom Finanzamt durch den Flur an meinem aufgeräumten Büro vorbei - hatte die Tür extra offen gelassen - zur Haustür, öffnete diese mit dem "passenden" Schlüssel ganz erhaben und sagte: "War doch ein netter Tag - kommen Sie morgen wieder, wie geplant?"

Draußen vor der Tür deutete nichts mehr auf meine Nacht- und Schneeaktion hin und der Schnee hatte sich auch aus seinen Wolken ausgelassen, lag jetzt ruhig im Garten. "Ich komme nicht wieder", sagte der Steuerprüfer erleichtert, "ist alles in Ordnung, keine Beanstandungen! Den Abschlussbericht schicke ich Ihnen dann zu - dann noch einen schönen Feierabend."

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